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Schnittstelle #2: Heile Welt
Juni 28 - August 10
Heile Welt ist selten Jetzt
„Heile Welt“ ist ein heikler Begriff – je nach Kontext läuft er Gefahr als romantisch, reaktionär, utopisch, naiv oder zynisch abgetan zu werden. Auch wenn der Begriff im Grunde eine recht konkrete und kollektive Sehnsucht nach dauerhaftem Frieden, Geborgenheit und Sorglosigkeit beschreibt, bezieht er sich in seiner Verwendung fast immer auf die Abwesenheit von all dem – 2024 vielleicht sogar mehr denn je. Wenn man von „Heiler Welt“ spricht, liegt sie zumeist in der Vergangenheit oder in einer nebulösen Ferne, in einer Kindheit, in die es kein Zurück mehr gibt oder aber in einer höchst unwahrscheinlichen Zukunft – „Heile Welt“ ist selten Jetzt.
Und dennoch sind die Kunst- und Kulturgeschichten der Welt voll von Bildern und Beschreibungen „Heiler Welten“ – von den religiös motivierten Paradies-Vorstellungen ganz zu schweigen. Auf´s immer Neue haben Menschen bessere, schönere, sichere und gerechtere Orte imaginiert, die ein gemeinschaftliches Leben im Einklang mit der Umwelt ermöglichen. Thomas Morus hat mit seinem 1516 veröffentlichten Roman „Utopia“ quasi das europäische Genre dieser sozial-philosophischen Erzählungen begründet, die bis heute nicht müde werden unterschiedlichste Gesellschaftsordnungen zu erdenken.
Allerdings ist den meisten dieser Welten gemeinsam, dass sie, wenn sie überhaupt in greifbare Nähe rücken, quasi automatisch im Verschwinden begriffen sind. Mit dem Erreichen der „Heilen Welt“ wird diese fast immer ausgelöscht und existiert somit nur für einen kurzen Moment des Glücks und der Erkenntnis – bevor sie unwiederbringlich zerfällt. „Heile Welt“ ist also immer auch etwas Fragiles, Bedrohtes, was es zu schützen und zu verteidigen gilt. Von dieser Perspektive aus ist es nur noch ein Katzensprung hinter die Gartenhecke, das Rolltor, die Bergkette, den Stacheldraht… Das Verteidigen der „Heilen Welt“, so wie sie war bevor „die Anderen“ gekommen sind, ist genauso fester Bestandteil des Narrativs, wie das „Kleine Glück“. Eine „Heile Welt“ ganz für mich allein, die nur hier und da aufblitzt und zu der niemand außer man selbst Zugang hat. Aber sind das dann noch „Heile Welten“, wenn sie nur für eine einzige Person existieren? Ist es nicht zu tiefst zynisch eine „Heile Welt“ in ein Schneckenhaus zu verlegen? Oder ist gerade das Festhalten an dieser Vision – aller dystopischer Fakten zum Trotz – das eigentliche Potenzial.
Die Ausstellung „Heile Welt“ nähert sich unterschiedlichen Fassetten des Begriffs in zehn künstlerischen Positionen – von Štěpán Brož märchenhaft-dämonischen Traumlandschaften bis zu den plüschigen Gewaltexzessen in Ngọc Hà Phạms comichaften Bildwelten. Gleich mehrere Arbeiten sind an der Schwelle von Kindheit zum Erwachsensein angesiedelt, vielleicht weil „Heile Welten“ gerne unschuldige Bewohner:innen haben. Wie ambivalent oder brüchig diese Unschuld sein kann, zeigen Máté Barthas berührende Porträts aus der grotesken Idylle militärisch-nationalistischer Jungendcamps in Ungarn oder Simon Olubowales Video Installation, die Erinnerungsfetzen einer scheinbar glücklichen Kindheit re-enacted. Auch Markus Wilfing spielt mit Erinnerungen, wenn er die kleinen heilen Welten der 80er Jahre in seinen kühlen Alibert Skulpturen kondensiert und sie in Autolack erglänzen lässt.
In all dem blitzt die Sehnsucht nach „heilen Welten“ auf und Joachim Hainzl macht sich auf ausgedehnten Spaziergängen ganz konkret auf die Suche nach dem Utopischen im Triester Viertel, während Su Kim in ihren Porträts von Bewohner:innen des Viertels und ihren Haustieren, kleine „Heile Welten“ findet. studio ASYNCHROME stellen in ihren Arbeiten die Frage, ob der gesellschafts-politische Anspruch von „Heiler Welt“ nicht gerade sein muss, dass sie für alle heil ist und niemanden ausgrenzt, während Franz Konrad sein dystopisch-paradiesisches „Bananaland“ vor uns ausbreitet oder Lisa Hopf sich lieber gleich in Bit Coin getriggerten Selbstoptimierungsphantasien verliert.
Auch wenn die aktuelle Weltlage nicht wirklich viel Anlass dazu gibt – sie alle geben die Suche nach der „heilen Welt“ nicht auf – trotz alledem.
Künstler:innen: Máté Bartha, Lisa Hopf, Chun / Ngọc Hà Phạm, Franz Konrad, Štěpán Brož, studio Asynchrome, Su Kim, Simon Olubowale & Hannah von Eiff, Markus Wilfling, Joachim Hainzl
Kurator: Martin Baasch
Ausstellungseröffnung: 28.06.2024, 19:00 Uhr
Ausstellungsdauer: 28.06. – 10.08.2024
Öffnungszeiten: Mi.–Sa., 14:00–18:00 Uhr
oder auf Anfrage unter +43 (0) 664 3557830 oder schaumbad@mur.at
Mehrsprachige Führungen (BKS/EN/UKR/FARSI) durch die Ausstellung: jeweils Do. 17:00 Uhr & Sa. 15:00 Uhr
Joachim Hainzl: Mapping Triesterviertel und Fahrradspaziergang, 04.07. & 25.07.2024 um 18:00 Uhr
Dauer ca. 2 Stunden
Booklet: